Zwischenbilanz

Der Herbst ist nun endlich da. Der zweite, den wir im Ferienhaus erleben. Er ist ein kleines bisschen gemütlicher als der letzte, denn immerhin haben wir nun eine funktionierende Heizung und ein gedämmtes Dach, während im letzten Jahr der Dachstuhl roh in die Kälte glotzte. Ansonsten scheint nicht viel passiert zu sein. Gut, neue Elektrik gibt es nun auch, aber von einem fertigen Haus sind wir noch so weit entfernt, dass wir nicht glauben können, dass es jemals soweit sein wird.

An den letzten Wochenenden haben wir uns vorrangig dem Spachteln und Schleifen gewidmet. Das klingt jetzt nach einer riesigen Aktion, wir reden hier allerdings von einem einzigen Zimmer. Wie sind wir vorgegangen? Zunächst haben wir uns bei unseren Lieblingsbauherrenkollegen umgeschaut, die aktuell eine Reetdachscheune zum Eigenheim umwandeln. Ganz wunderbar schaut es dort aus: rohe Balken, glatte Wände, moderne Bäder und eine riesige Küche. Besonders die Wände haben wir uns natürlich genauer angesehen. Ganz leicht sei das, meinte der Bauherr. Jaaa, das bekommt ihr easy hin, stimmte die Bauherrin zu. Wir waren noch nicht ganz überzeugt und gingen mit den Köpfen ganz dicht an die Wand. „Einfach gerade abziehn!“, gab der Bauherr eine detaillierte Arbeitsanweisung. „Und dann mit der Giraffe rüber.“. Hm, ja, alles klar. Müssen wir halt vorher nochmal kurz in den Zoo. Ach nein, eine Giraffe ist eine Schleifmaschine mit langem Hals respektive einer Teleskopstange. So etwas gehört vermutlich zu dieser Art lebenstüchtiger Allgemeinbildung, über die ich leider gar nicht verfüge. Ich kann im Gegenzug Luther und diverse Könige Friedrich zitieren, aber das nützt mir auf der Baustelle herzlich wenig. Na, nun wussten wir es ja. Man lernt halt immer dazu. Dennoch hakten wir nochmal nach: „Einfach gerade abziehen? Das ist doch sicher nicht so einfach…“

„Doch, doch. Einfach großzügig Spachtelmasse auftragen, gerade machen und dann geht dat schon.“, ging der Bauherr thematisch noch mal richtig in die Tiefe. Es müsse natürlich die richtige Spachtelmasse sein, nämlich die teure. Alles andere sei Mist. Mit Mist waren wir zwar schon vertraut, dennoch beschlossen wir, zur Sicherheit nochmal ein Youtube-Tutorial zu konsultieren. Das war natürlich ein Fehler, denn es gibt circa drölfundachtzigtausend Tutorials, die sich selbstredend bereits in den Grundzügen widersprechen. Trägt man das Armierband zu Anfang auf oder bereitet man ihm ein weiches Spachtelbett? Da waren sich die Youtuber absolut uneinig. Wir beschlossen, dass es sich in einem weichen Bett immer besser schläft und legten los.

Voll motiviert rührten wir einen Eimer Spachtelmasse an. Wir rührten und rührten, bis wir glaubten, auch den letzten Klumpen zerstört zu haben und trugen den Eimer zum Ort des Geschehens. Spachtel, Abziehkelle und wie diese Gerätschaften alle heißen, lagen in einem fröhlichen Reigen um uns herum. In freudiger Erwartung klatschte ich einen Schwung Spachtelmasse an die Dachschräge. Er klatschte zurück. Und zwar auf meine Füße. Ich guckte ein wenig irritiert nach unten. Das konnte nur ein kleines Missverständnis sein. Ich probierte es erneut. Aha, da blieb was kleben. Bereits beim nächsten Schwung kam jedoch auch wieder was zurück. Ich meinte es wohl mengenmäßig etwas zu gut. Was für eine unerfreuliche Geschichte! Wisst ihr, am Anfang unserer Bautätigkeiten hatte ich mir eingebildet, dass jeder einzelne Arbeitsschritt mir große Freude bereiten würde. Ich mag die Arbeit mit den Händen, wo man am Ende des Tages auch ein Ergebnis sieht (Ha! Wenn’s mal so wäre!). Ich mag sogar die kleinen Fummelarbeiten, bei denen man sich rückwärts und gebogen in kleine Ecken drücken muss, um zehn Stunden an einem Quadratzentimeter zu arbeiten. Aber hier in diesem Haus gab es erstaunlich viele Arbeitsschritte, die mir absolut nicht zusagten. Dabei hatte es doch so gut begonnen: das Entfernen der Tapeten im Hause erledigten wir mit links (wenn auch nicht ganz vollständig, wie wir immer wieder entdecken müssen). Den Durchbruch der Wand zwischen Küche und Esszimmer absolvierten wir tatsächlich mit allergrößter Freude. Aber ab da an ging es aber eigentlich Downhill.

Schon das Entkernen des Daches war eine einzige Misere. Wie das kratzte! Wie ekelhaft alles war. Überall krabbelte es hervor oder man verhedderte sich in uralten Spinnweben. Am Abend war man so schmutzig wie nie zuvor und hatte Angst vor dem, was sich da möglicherweise im eigenen Haar eingenistet hatte. Als endlich alles unten war, war es schon später Herbst und in der uns eigenen Langsamkeit sahen wir den Winter kommen. In den Nächten, in denen wir die neue Dämmung ins Dach klemmten, kristallisierte unser Atem vor unseren Gesichtern und unsere Hände wurden blau. Schließlich wurde die Heizung gerade erst erneuert. Wir lebten in dieser Zeit in dem großen Esszimmer mit nunmehr offener Küche und geheizt wurde mit zwei Elektroheizkörpern und dem alten Küchenofen. Wir lebten also in der ständigen Angst vor Feuer – entweder verursacht durch die alten Elektroleitungen, denen wir die Heizkörper kaum zutrauten oder dem Küchenofen, der seit Jahr und Tag nicht mehr gewartet worden war. Aber wir überlebten. Und hangelten uns von einer ungeliebten Aufgabe zur nächsten. Nach der Dämmung kam die verhasste Dampfbremsfolie. Riesige Ausmaße, schreckliche Farbe und eine Sensibilität, die man einem Baustoff kaum zutrauen mag. Bei der geringsten falschen Bewegung riss sie. Und nachdem sie endlich dran war, kamen die Deckenprofile, die die neuen Gipskartonplatten halten sollten. Sie verschlangen einige Wochenenden und verursachten mehrere Schnittwunden. An den Gipskartonplatten schließlich verhoben wir uns regelmäßig. Überall lag Gips, den wir von Zimmer zu Zimmer trugen und irgendwann sogar in den Zähnen hatten. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass das künftige große Bad immer noch ohne Decke vor sich hin vegetiert. Wir bringen es einfach nicht über uns, damit anzufangen. Denn wir sind noch mit dem kleinen Bad im Erdgeschoss ausgelastet, das zwar nicht unangetastet, aber in selben Maße unfertig auf sein künftiges Erwachen wartet.

Damit wir uns ihm weiter widmen können, haben wir an diesem Wochenende noch einmal meine Mutter eingeladen. Sie hatte beim letzten Besuch so wunderbar auf die Kinder aufgepasst, dass wir tatsächlich dazu kamen, ein wenig zu arbeiten. Wir wollten ihr gerne ein hübsches – das heißt fertiges – Zimmer bereiten und steckten alle unsere Energie in die Fertigstellung des sogenannten Terrassenzimmers. Und so kam es, dass wir in einer erneuten Nacht-und-Nebel-Aktion mit unseren Gerätschaften in einem der vielen unfertigen Zimmer standen und uns gegenseitig Spachtelmasse auf die Füße klatschten. Irgendwann hatte man natürlich auch hier den Dreh raus, aber es dauerte. Dass wir uns entschieden hatten, dem Armierband ein weiches Bett zu bereiten, sollte sich später noch rächen. Vielleicht hatten wir es auch nur nicht fest genug angedrückt? Jedenfalls stellte sich beim späteren Schleifen heraus, dass man das Band nur allzu leicht wieder frei legte. Also wieder spachteln und wieder schleifen. Um die Sache zum Ende zu bringen: eine einzige große Misere.

Wir brauchten einfach mehr Zeit. Was also tun? Wir gaben die Kinderlein kurzerhand bei den Großeltern ab und fuhren alleine nach Grambin. Als erstes stand ein Besuch im Baumarkt auf dem Programm. Es soll ja Bauherren geben, die alles minutiös planen und die Inneneinrichtung bereits mit Baubeginn im Keller oder zumindest im Kopf haben. Das fertige Bild habe ich auch im Kopf aber der Weg dahin ist für mich eher vage. Und so kommt es ab und an vor, dass wir in allerletzter Minute noch den ein oder anderen Baumarktbesuch einschieben müssen, um irgendetwas zu kaufen. Diesmal Laminat. Wir promenierten durch die Gänge und landeten irgendwann also bei den diversen Designs. Klar war nur, es sollte Eiche sein. Möglichst struktuiert und möglichst robust, da wir davon ausgehen, dass Menschen, die sich anderswo einmieten, mit dem Interior nicht so sorgsam umgehen wie mit dem eigenen. Eines gefiel mir ganz gut. Zunehmend verzweifelt suchte ich allerdings bei den Herstellerangaben die Nutzungsklasse. Da es bereits zehn Minuten vor Ladenschluss war, suchten wir Hilfe. Ein kautziges altes Männlein in Baumarkt-Uniform schien unsere Rettung zu sein. Wir winkten ihn zu uns wie Gestrandete auf der Insel das Rettungsflugzeug. In aller Ruhe kam das Männlein angeschlurft – sichtlich schon im Feierabendmodus. „Wir brauchen Beratung zum Laminat.“, kam ich gleich zur Sache. „Was wollense denn? Hier steht doch alles.“, versuchte er uns abzuwiegeln. „Wo steht denn dann die Nutzungsklasse?“, stellte ich den Alten auf die Probe. Der setzte die Lesehilfe auf und wandte sich dem nächstgelegenen Packen zu. Mit gebeugtem Rücken suchte er bei dem Buche-Imitat für 4,99 pro Quadratmeter die Nutzungsklasse. Wir gewährtem ihm ein paar Minuten und fragten dann, ob es vielleicht angebracht sei, bei der Version zu schauen, die wir tatsächlich in Erwägung zogen. Mit wenig Begeisterung folgte er uns zu dem Laminat unserer Wahl. Etwas unbeholfen suchten wir dann alle gemeinsam. Der Baumarktprofi – er hatte wohl nicht umsonst seinen Job – wurde schließlich fündig. „Das ist für gewerblich. Das ist schon ordentlich.“, pries er die Ware an. Offenkundig war der Verkäufer in ihm erwacht, denn nun entspann sich tatsächlich ein Gespräch. Zwischen ihm und Roman jedenfalls. Ich war etwas außen vor, denn ich war …nun ja…eine Frau. Auch wenn ich eine Frage stellte, die Antwort ging immer direkt an den Mann. Irgendwann dachte ich, ich sei spontan unsichtbar geworden. Der Alte war inzwischen bei den praktischen Arbeitstipps angekommen: „Wennse dann dat Laminat legen….“, setzte er an. Roman sah wohl in meinem Gesicht, dass ich bald die Geduld verlieren würde und versuchte, zwischen uns zu vermitteln. „Das wird sie machen“, sagte er und wies auf mich – die Unsichtbare. Dem Alten war’s egal. „Wennse dann dat Laminat legen….“, versuchte er es nochmal. Roman sagte nun etwas energischer, dass ich wohl das Laminat legen würde (Das war natürlich gelogen, denn wir machen ja fast alles gemeinsam, mit Sicherheit auch das Laminat. Er wollte vermutlich nur meine Ehre retten.) Nun stutzte der Alte. Sie? Das Laminat? Mit einer Mischung aus Zweifel und Erstaunen sah er mich an. Und dann wieder weg. Hin zu seinem Gesprächspartner: „Wenn sie dann dat Laminat legt, müssense Ihrer Frau auch ne Säge hinlegen. Und sie muss das wie folgt machen. [….]“. Tja. So ist das mit der alten Garde. Denen ist eine körperlich arbeitende Frau (vom Melkschemel mal abgesehen) vollkommen fremd. Kannste nix machen, alles vergebene Liebesmüh. Das Gespräch neigte sich ohnehin dem Ende zu. „Hamse denn auch ein ordentliches Auto?“, fragte er unbeirrt den Mann. „Natürlich“, sagte ich. „Ein rosa-glitzerndes.“ Und wir gingen.

Verlegt ist es übrigens immer noch nicht. Auch das Zimmer meiner Mutter ist noch nicht fertig geworden. Doch dazu beim nächsten Mal mehr.

 

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Jana sagt:

    Schön hat sie das geschrieben! Ich wünsche euch viel, viel Kraft!

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