Wir sind inzwischen seit fast fünf Wochen hier in Grambin.
Heute wollen wir euch einmal über unseren Einstieg ins Dorfleben berichten.
Grambin ist heute ein typisches Straßendorf, das heißt, die älteren Häuser gruppieren sich um die Hauptstraße, die hier – klaro! – Dorfstraße heißt. In dieser Dorfstraße liegt auch unser Ferienhaus. Wir sind also genau inmitten der alteingesessenen Dorfbewohner sesshaft geworden.
Irgendwo habe ich es schon einmal erwähnt: ich komme selbst vom Dorf. Und wenn mein Heimatdorf Beispiel gebend für Grambin ist, schwant den Grambinern seit unserer Ankunft hier Böses. Meinen dörflichen Brandenburger Ursprung sieht man mir nicht an. Im Gegenteil, er wird durch unser Berliner Nummernschild gut getarnt. Da wo ich herkomme, ist der gemeine Berliner das Feindbild schlechthin. Nun wissen fast alle Berliner, dass es in Berlin gar keine Berliner gibt. Höchstens fünf Leute wissen das nicht – nämlich die einzigen, die tatsächlich in Berlin geboren und aufgewachsen sind. Die Bewohner aller übrigen Bundesländer denken jedoch, dass Berliner laut, unhöflich und maulfaul sind. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass „der Berliner“ sich tendenziell mit den Charakteren gen Norden besser versteht als mit denen südlich der Elbe. Wenn der Norden eines versteht, dann ist es sprachliche Zurückhaltung. Maulfaul, könnte man sagen. Damit kann man hier was anfangen.
Womit allerdings keiner was anfangen kann – und das gilt für alle Dörfer – ist, wenn diese vorlauten Großstädter auf dem Dorf die Häuser wegkaufen um eine schickimicki Übernachtungsbude draus zu machen. Ganz ohne Kiefernmöbel und blau-weiß-gestreifte-weil-so-maritim-aussehende Gardinen. Wenn man sich als Großstädter (auch wenn wir hier alle wissen, dass das bei uns nur Fake ist) an ein solches Unterfangen wagt, dann ist man besser auch erfolgreich, denn sonst wird man mit schallendem Gelächter in die Dorfchroniken der Loser eingetragen. Das soll uns bitte nicht passieren.
Vielleicht machen wir uns aber auch unnötig Sorgen. Denn bislang haben wir nicht ein einziges böses Wort vernommen. Im Gegenteil. Dabei sind wir ganz sicher als Neuankömmlinge aufgefallen: Ab und an flanieren einzelne Dorfbewohner an unserem Haus vorbei. Einige bleiben stehen, andere kommentieren den Trocknungsgrad des Vorgartens. Leider muss man tatsächlich feststellen, dass dieser seit unserer Ankunft nicht unbedingt schöner geworden ist. Die Zufahrt zur Tiefgarage war ja mit dem verhassten Efeu überwuchert. Das ist nun fort – das idyllische Grün leider mit ihm. Der restliche Vorgarten bestand früher aus einem großen Konglomerat aus irgendwelchen Nadelgewächsen. Die waren gerade dabei, den Weg zur Haustür zu erobern, also haben wir sie kräftig beschnitten. Wieder ist dabei ein großes Stück Grün verloren gegangen. Die Zufahrt zum Garten wurde durch scheinbar willkürlich angeordnete Forsythiensträucher halbiert. Ihr ahnt es schon, auch diese gibt es nicht mehr. Jedenfalls nicht in Gänze. Wir haben sie abgeschnitten, es aber noch nicht geschafft, alle Wurzeln zu beseitigen. Diese ragen nun wie traurige Stümpfe in die Luft. Sieht nicht so schön aus, wir haben aber gerade echt andere Baustellen. Außerdem bekommt man diese verfluchten Wurzeln wirklich verdammt schwer raus. Sie laden zudem auch den ein oder anderen Grambiner dazu ein, uns mit süffisantem Blick neunmalkluge Tipps zu ihrer Entfernung zu geben. Da wir einem kleinen Schwätzchen nie abgeneigt sind, finden wir das eher positiv.
Tatsächlich freuen wir uns über jeden, der am Gartenzaun stehen bleibt oder uns beim Vorbeigehen einen Gruß zuwirft.
Besonders die Nachbarn gegenüber und neben uns sind sehr freundlich. Sie haben uns bereits ihre Hilfe angeboten und sicher müssen wir diese über kurz oder lang auch annehmen. Eine Nachbarin brachte uns Äpfel aus ihrem Garten (sicher hatte sie unsere begehrlichen Blicke gesehen, denn ihr Garten sieht aus wie das Paradies). Als wir uns nach einer erschöpfenden Efeu-Vernichtungsaktion auf der Treppe eine Kaffeepause gönnten, brachte sie sogar den passenden Kuchen vorbei! So stellt man sich das Dorfleben doch vor, oder?
Ich muss gestehen, nach den letzten 15 Jahren, die ich in der Großstadt verbracht habe, ist unser langer Aufenthalt hier wirklich erholsam. Ich liebe es, wie weit man sehen kann. Keine riesigen Ansammlungen von Häusern, die einem den Blick versperren. Wie weit kann man in einer Stadt gucken, bevor einem der Blick verbaut wird? Hier ist das anders. Man läuft keine fünf Minuten und schon ist man umgeben von Feldern, Wäldern und als Krönung das Meer. Ok, nicht direkt das Meer, sondern das Stettiner Haff. Aber auch hier ist es ein weites, wellengeschmücktes Stück bis zur gegenüber liegenden Insel Usedom.
An einem der Abende, die wir damit verbrachten, unsere Brut durchs Dorf und über die angrenzenden Felder zu schleifen, auf dass sie endlich müde würde, sagte einer von uns: „Lass uns doch einfach bleiben!“ – Ah, da war er, der Gedanke! Einfach bleiben! Geht das? Gut, das Haus ist ein Schlachtfeld, aber irgendwas ist ja immer. Und dieser Zustand wird ja ohnehin über kurz oder lang aufgehoben werden. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu leben: in einer kleinen Community, in der man jeden kennt, zumindest vom sehen. In einer wunderschönen und beruhigenden Landschaft. Ich freue mich schon sehr darauf, die Umgebung im Wandel der Jahreszeiten zu sehen. Der Herbst steht vor der Tür und an manchen Tagen ist es schon reichlich kühl. Es muss schön sein, zum Strand zu gehen, wenn es neblig ist oder sogar schneit.
Ueckermünde ist gleich um die Ecke, nur einen ausgedehnten Spaziergang entfernt und dort hat man die meisten Freizeitmöglichkeiten, die man so braucht. Was will man mehr?
Einen Job zum Beispiel, werdet ihr nun sagen. Und ihr habt recht damit. Da wir von finanzieller Unabhängigkeit noch weit – sehr weit – entfernt sind, brauchen wir unsere Jobs. Zudem sind wir in der glücklichen Lage, mit den unseren zufrieden zu sein. Ich hatte weiß Gott schon genug Jobs, die ich hasste, um das sehr hoch zu schätzen. Vielleicht sollten wir das Haus dann also wenigstens zeitweise auch selbst nutzen und nicht nur vermieten? Dagegen spricht eigentlich nur die Zweitwohnnsitzsteuer und das ist ja wirklich ein vergleichsweise geringer Preis. Wir behalten das im Hinterkopf.
Zur Zeit kann ja ohnehin noch niemand in unserem Haus wohnen. Tatsächlich haben wir inzwischen so viele Einbauten herausgerissen, dass es sogar uns zu ungemütlich wird. Bereits zwei Container haben wir mit Bauschutt, altem Laminat, den verhassten Tapeten und alter Keramik gefüllt. In den meisten Zimmern läuft man über den blanken Estrich und der Blick gleitet über nackten Putz, wohin man auch sieht.
Während wir neulich diverse Türen aus ihren Verankerungen rissen, stand auf einmal Nachbar F vor der Tür. Obwohl… vor der Tür stand er eigentlich nicht. Er hatte sich selbst eingeladen und war durch die Terrassentür eingetreten. Auch das ist ein gravierender Unterschied zu unserem urbanen Parallelleben: die Leute kommen einfach vorbei! Ohne Anruf, ohne Kurznachricht! Einfach so. Er wollte sich das Ganze mal ansehen. Wo er schon einmal da, konnten wir ihm die gewünschte Schlosstour natürlich nicht verweigern und führten ihn durchs Haus. Dabei haben wir wieder einige Tipps abgegriffen. Die meisten Hausbesitzer – dörflich oder nicht – finden ja ganz erstaunliche Mittel und Wege, ihre häuslichen Probleme zu richten. Die alte Dämmwolle muss weg? Warum nicht komplett in den Drempel (andere Leute nennen das vornehm Kniestock) stopfen? Du brauchst einen Brunnen? Grabe ich dir selbst, alles andere ist zu teuer. Ich mag diese hemdsärmelige Herangehensweise sehr! Zumal jeder weiß, dass solche Provisorien länger halten als eine Architektenlösung. F bot uns also erneut seine Hilfe an bei sämtlichen Arbeiten – gegen einen Kasten Bier. Es versteht sich von selbst, dass der Kasten bereits in der Küche steht, für den Fall, dass mal wieder jemand vorbei schauen will.
So wie F hat übrigens jeder, wirklich jeder, mit dem wir hier über das Haus gesprochen haben, einen Kommentar zum Dach auf den Lippen. Unser Dach scheint eine Art Dorfheiligtum zu sein. Die Leute werden nicht müde zu betonen: „Das Dach ist aber trocken.“ oder „Ums Dach müsst ihr euch keine Sorgen machen, das ist trocken!“ oder eben „Das ist noch eines der guten Dächer, da habt ihr Glück. Das ist trocken.“ Keine Ahnung, woher hier alle unser Dach kennen, aber ein jeder ist sich seiner Trockenheit gewiss. Wir übrigens auch. Das Dach ist wirklich trocken.
Insgesamt kann man also sagen, dass das Dorfleben uns bisher sehr gut gefällt. Wir sind gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Leider müssen wir demnächst unsere Zelte hier abbrechen. Unsere Elternzeit nähert sich dem Ende und wie gesagt: es ist arg ungemütlich hier. Man kann gar nicht genug fegen und wischen, um den Staub los zu werden. In nächster Zeit werden wir wohl nur an den Wochenenden vor Ort sein und dann versuchen, so viel wie möglich zu schaffen. Da wir uns aber einen großzügigen Sanierungszeitraum eingeplant haben, sollte das okay sein. Weiter geht’s!